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Kampagne gegen NeuversiegelungEin Herz für Hinterhöfe

Jonas Wahmkow
Kommentar von Jonas Wahmkow

Der Umweltverband BUND fordert, Neubau auf Grünflächen zu stoppen. Wohnungen sollen auf versiegelten Flächen und durch Umwandlung entstehen.

Proteste gegen Nachverdichtung in Lichtenberger Innenhöfen: Alles nur Nimbys? Foto: IMAGO / GE-Foto

U mweltverbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) stehen häufig unter Verdacht, die inoffizielle Interessenvertretung der „Nimbys“ zu sein. Die Abkürzung steht für „Not in my back­yard“, zu Deutsch, „Nicht in meinem Hinterhof“, und bezeichnet den Widerstand von An­woh­ne­r:in­nen gegen Neubauprojekte. Sollen zum Beispiel in einem Hinterhof Bäume gerodet werden, um Platz für einen weiteren Wohnriegel zu schaffen, verklagen Umweltverbände gerne auch mal landeseigene Wohnungsbauunternehmen.

Der Vorwurf, der in dem Begriff mitschwingt, ist, eine Nimby sei nur auf ihren eigenen Vorteil – ihren Hinterhof – bedacht, und nicht bereit, auf diesen für das höhere Wohl – mehr Wohnungsbau – zu verzichten. Spätesten an dieser Stelle wird klar: Der Vorwurf des Nimbyismus ist eine diskursive Strategie, um Umwelt- und Klimaschutz zu delegitimieren. Darauf hat auch der BUND keine Lust mehr und geht mit einer Kampagne in die Offensive. Mit „Grüne Flächen retten – Hitzeschutz jetzt“ fordert der Umweltverband, der ausufernden Flächenversiegelung in Berlin entgegenzuwirken. Unter anderem sollen keine Bauprojekte mehr auf Wiesen, Parks, Wäldern oder Kleingärten entstehen.

Wohnungen auf Supermärkte

„Im Schnitt wird alle drei Jahre einmal die Fläche des Tempelhofer Feldes zugebaut“, sagte Verena Felhlenberg, BUND-Referentin für Stadtnatur bei der Vorstellung der Kampagne am Dienstag. Die Folgen sind dramatisch: In der Klimakrise erhitzen sich die Städte immer weiter, kühlende Grünfläche werden vernichtet. Hochwertige Biotope und Naherholungsräume für die Be­woh­ne­r:in­nen gehen verloren. Der eigentliche Beitrag für das höhere Wohl ist der unbebaute Hinterhof, der die Stadt kühlt, das Klima schützt und Biodiversität fördert.

Aber irgendwo müssen die Wohnungen schließlich gebaut werden, oder? Um das Nimby-Argument vollends zu entkräften, hat der BUND vorgesorgt. Statt auf „kühlendem Stadtgrün“ sollen neue Wohnungen durch Aufstockung von Dächern und Supermärkten, Bebauung von bereits versiegelten Flächen wie Parkplätzen und Umwandlung von leer stehenden Büros oder illegalen Ferienwohnungen entstehen. Das Potenzial beträgt rund 160.000 Wohnungen, rechnet der Verband vor.

Fraglich bleibt nur, wie erfolgreich die Kampagne sein wird. Denn der BUND strebt keinen Volksentscheid an, sondern beschränkt sich auf eine Petition und mehrere Informations- und Mitmachaktionen. Los geht’s am Freitag auf dem Tempelhofer Feld: dem kollektiv genutzten Hinterhof aller Berliner:innen, der unbedingt zu retten ist.

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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